Text von Lilian Pfaff (Text zur Ausstellung chatrooms #05-80, Tony Wuethrich Galerie, 2003
In den neuen Photographien von Philipp Gasser begegnen uns fremde und zugleich bekannte Wohnräume. Durch ihre Unschärfe, Flächigkeit und seltsam künstliche Farbe, wirken sie unheimlich und entrückt, nicht von dieser Welt.
Als Vorlage fungierten gefundene Bilder aus den Chatrooms des Internets. Es sind reale Räume in relativ schlechter Auflösung, die teils von professionellen Anbietern oder Laien live mit einer Kamera direkt ins Internet übertragen werden. Zu sehen sind jedoch keine Menschen, vielmehr sind es die Resträume, die im Bildschirm sichtbar bleiben, wenn der Protagonist bereits verschwunden ist. In diesen unbemerkten Momenten bricht das vermeintlich Authentische des Chaters hervor. Obwohl sich die Linse der Kamera wie beiläufig auf den übrig gebliebenen Hintergrund der Handlung richtet, ist der Blick doch immer konstruiert. Durch den beliebigen Ausschnitt und die seltsamen Perspektiven werden die Räumlichkeiten demontiert und verunklärt. „Chatroom # 50“ zeigt beispielsweise eine offene Tür zu einer Toilette, hinter der sich, und neben der sich, wieder eine Türe zu befinden scheint. Halboffenen Türen finden sich auch in anderen Arbeiten dieser Serie und drücken trotz der Absenz des Bewohners seine Präsenz aus, so als würde er jeden Moment wieder seinen Körper in den Bildschirm rücken. Das Fehlen des Protagonisten erzeugt eine Leerstelle, die sich als Projektionsflächen für den Betrachter eignet. Diese Sehnsucht wird jedoch immer wieder vom voyeuristischen Blick auf das Häusliche des fremden Heims gebrochen.
Das Heim, das auch zugleich das Zuhause des Körpers ist, lässt eine Intimität entstehen, die nur durch die malerische Übersetzungsarbeit Platz zum atmen lässt. Philipp Gasser verändert die Räume nicht, er übermalt sie im Computer, indem er die Gegenstände und architektonischen Bausteine mit dem Pinsel herausschält und auf der Suche nach Wirklichkeit eine eigene Interpretationsschicht darüber legt.
Philipp Gasser setzte sich in seinem künstlerischen Werk bisher immer mit der künstlichen Darstellung von Wirklichkeit auseinander. Während er in seinen Computeranimationen die Zeichnung in bewegte Bilder überführte, baut er in den parallel dazu entstandenen Photographien wie Figugel1998, oder La nuit americaine 2002, fiktive Landschaften im Computer nach, um eine möglichst authentische Atmosphäre seiner Erinnerungsbilder zu erzeugen.
In der jüngsten elfteiligen Photoserie „Chatrooms # 05-80“ kehrt Gasser den Prozess um. Mittels der Aquarelltechnik, mit der er ganz zu Beginn seiner künstlerischen Laufbahn nach Photographien Alltagssituationen der Familie in Papierarbeiten umsetzte, vereinnahmt der Künstler auch hier die Lebensräume Anderer. Der Realitätsgehalt der Internetbilder und die Fiktion der Malerei fliessen ineinander über und spannen damit ein Feld zwischen Anziehung und Abneigung auf. In „Chatroom # 39“ beispielsweise ist die abgeblätterte Rückwand in einzelne Farbflecken impressionistisch aufgelöst, verweist aber gleichzeitig auf die Trostlosigkeit der Lebensumstände der sich Darbietenden.
Als sprechende Interieurs sind sie gleichzeitig Porträts (hier der Abwesenden), die seit der niederländischen Porträtmalerei des 17. Jahrhunderts mit ihren Habseligkeiten charakterisieren werden. Durch die Ästhetik der Malerei und ihrer Rahmung werden die Räume jedoch der banalen Internetrealität enthoben und können als unwirkliche Bilder in unsere Wohnzimmer eindringen, deren Herkunft im Format des Bildschirms jedoch immer präsent bleibt.