Esther van der Bie und Philipp Gasser

in der Galerie Beatrice Brunner

Kunstbulletin 4/2005
Mit knappen Linien und kahlen Rohren skizzieren Esther van der Bie (*1962) und Philipp Gasser (*1958) Wälder, die zu Resonanzräumen der Fantasien und Erwartungen des Betrachters werden.

von Alice Henkes
Bern Nirgendwo scheint die Natur so natürlich wie im Wald. Intellektuelle Städter der Romantik entdeckten Buchenhain und Nadelgehölz als Urnatur und Seelenspiegel. Heute ist der Wald nicht nur Kulisse für Sagen und Selbstsuche, sondern auch bedrohtes Ökosystem. Im Forst begegnen sich Natur-Rücksichtslosigkeit und Natur-Sehnsucht des Menschen. Das kulturell aufgeladene und ambivalente Verhältnis zum Wald schwingt mit in der Doppelausstellung von Esther van der Bie und Philipp Gasser in der Galerie Beatrice Brunner.
«Im Wald» heisst die Schau, die sich dem symbolträchtigen Naturraum mit bewusst unnatürlichen Mitteln nähert. Die in Basel lebende Thurgauerin Esther van der Bie begann 2002 mit der Fotoserie «Wälder und Verwandtes» ins Märchenhafte, Fantastische spielende Inszenierungen von Kunst-Wäldern aus Plastikrohren und Tannenzweigen, aus echten Blüten auf einem falschen Wiesengrund aus grüner Folie. Die Fotos versuchen nicht, den Betrachter zu täuschen. Neben Detailbildern von Kunststoffästen und Holunderdolden entstanden Studio-Stills, welche die Arbeitskulisse mit ihren Leitern, Hintergrundfolien, Lampen zeigen. Das Verfahren erinnert an die berühmte Szene aus Fellinis «E la nave va», in der die Kamera ein wenig zurückfährt und der Zuschauer erkennt: Das Meer ist nur bewegte Folie, das Schiff nur eine Bühne, die von gewaltigen Motoren geschaukelt wird. Dem diebischen Kitzel, die Inszenierung durchschaut zu haben, folgt schon mit der nächsten Szene ein seliges Wiedereintauchen in den Kunst-Kosmos. Die eigentliche Inszenierung findet im Kopf statt. Mit dieser Erkenntnis spielt auch van der Bie, die ihr Thema bei Beatrice Brunner installativ ausführt und einen Wald aus Kunststoffröhren entstehen lässt. Visuell stark reduziert erinnert er allenfalls an jenen sprichwörtlichen Wald von Dingen, derer man nicht mehr Herr wird. Doch unterfüttert die Künstlerin ihren kargen Kunst-Wald mit einer Tonspur, die das Rauschen und Raunen des Waldes in die Galerie hineinträgt und so den Wald im Betrachter entstehen lässt.
Einen überaus reduzierten Wald zweidimensionalen Formats zeigt Philipp Gasser mit seinem Video «Den Wald nicht sehen» von 2002. Gasser, auch er lebt in Basel und hat zuvor schon mit Esther van der Bie ausgestellt, erprobt in dieser Arbeit Raumwirkung mit simpelsten Mitteln. Vertikale Striche auf hellem Grund bilden eine Baumgruppe, die als solche erst durch Figuren kenntlich wird, die sich zwischen den Skizzen-Stämmen bewegen. Skizzenhaft auch die Figuren selbst, die nach alten Filmen gezeichnet sind und «alltägliche, absurde, mysteriöse» Handlungen ausführen. Der Wald, so mag man dies verstehen, lässt sich zwar zeichnerisch auf eine schlichte Formel bringen, sein symbolträchtiger und sagenreicher Mehrwert lässt sich damit allerdings nicht knacken.